Vermutlich hättest Du auch nicht gedacht, wie sich das Corona-Virus auf unser Leben, unsere Gesellschaft aber auch unsere Beziehungen auswirkt, oder?
Vielleicht geht es Dir aktuell ein bisschen wie mir und Du bekommst von unterschiedlichen Seiten – aus Deinem Bekanntenkreis oder sogar aus Deiner Familie unterschiedlichste Informationen und auch Haltungen mit und fragst Dich, was Du aktuell denken und glauben sollst… viel mehr aber noch:
Wie Du mit Menschen umgehen sollst, wenn sie eine ganz andere Haltung haben, als Du. Oder Du merkst, dass es Dich vielleicht sogar wütend oder ärgerlich macht, was manche Menschen sagen (oder posten…)
Auch ich habe hier so manche Prüfung und ich habe mir als Beziehungscoach einmal Gedanken darüber gemacht, was eigentlich in uns vorgeht und wie es dazu kommt, dass wir plötzlich auch so offenkundig unterschiedlicher Meinung sind:
- Sind die, die sich jetzt einfach an die Maßnahmen halten und abwarten wirklich „Schlafschafe“? Kapieren die nix oder sind sie einfach nur zu faul, etwas zu unternehmen?
- Sind die, die jetzt gerade Panik haben, dass sie ihre Existenz verlieren einfach zu unflexibel oder zu pessimistisch?
- Sind die, die aktuell nach alternativen Fakten forschen und vor Zwangsimpfungen und Entmündigungen warnen direkt Aluhut-Träger und totale Spinner?
Was ist hier gerade mit uns los?
In diesem Beitrag soll es ganz ausdrücklich nicht darum gehen, welche Haltung die richtige ist – sondern ganz im Gegenteil:
Ich möchte Dir ein paar psychologische Erklärungen geben, wie das, was wir gerade erleben, sich auf uns auswirkt – und warum das so ist. Und wie Du mit Menschen gut umgehen kannst, wenn sie auf einer ganz anderen „Welle“ schwimmen, als Du…
Was Du wahrnimmst, bestimmt Deine Welt
Zunächst einmal hilft Dir vielleicht der Gedanke, dass jeder Mensch in seiner eigenen Welt lebt die geprägt ist von dem, was er/sie täglich erlebt – anhand dessen, wie und wo jemand lebt.
Ich zum Beispiel lebe mit meinem Mann in einer Kleinstadt nördlich von Hamburg. Wir haben ein paar Wochen miterlebt, dass man mal kein Klopapier kaufen konnte… und haben darüber geschmunzelt. Wohl auch, weil wir noch welches hatten. Wir leben außerdem sehr naturnah und gehen täglich mit unserem Hund spazieren. Wenn wir nicht auf Tournee sind, arbeiten wir meist vom Homeoffice.
Mit anderen Worten: Wir haben weder Knappheit, noch Restriktionen oder irgendwas in dieser Art erlebt. Für uns hatte sich gefühlt gar nicht so viel verändert.
Schon alleine deswegen empfanden wir persönlich die Situation 2020 nicht als besonders „bedrohlich“ oder „einschränkend“: Wir haben keine leeren Supermärkte, keine patrouillierende Polizei und keine starken Veränderungen in unserer Arbeitsumgebung erlebt.
Klar, wir können aktuell nicht auftreten, keine Seminare geben und so weiter – es ist etwas weggefallen. Aber es ist keine totale Neuorientierung notwendig.
Und so fühlen wir uns in unserem täglichen Leben vermutlich deutlich entspannter, als manche unserer Freunde und Kontakte in Berlin, Hamburg oder Köln oder bei denen, die gerade gar nichts mehr machen können oder alles anders machen müssen, als bisher.
Was Du betrachtest, beeinflusst Dich
Wir haben täglich die Wahl aus Milliarden von Eindrücken, aus denen wir wählen können und die dann beeinflussen, wie wir uns fühlen:
- Schauen wir auf alles was geht – oder auf alles was nicht geht?
- Schauen wir auf die Maske oder schauen wir auf die Augen, an denen wir ein echtes Lächeln immer zuverlässig erkennen können?
- Schauen wir auf das leere Nudelregal oder auf das volle daneben?
- Schauen wir uns jedes Youtube-Video an oder hören wir jeden RKI-Bericht?
All diese Dinge sind verfügbar – und je nachdem, worauf wir schauen, prägt das unser „Bild von der Welt“.
Was Du Dir in den sozialen Medien anschaust, beeinflusst, was Dir gezeigt wird. Du bekommst immer „mehr vom selben“. Je öfter Du Dir also „Katastrophen“ anschaust, umso mehr wird Dir genau das im Stream gezeigt und vorgeschlagen. Irgendwann denkst Du: Das ist die Realität. Aber in Wahrheit ist es nur ein Ausschnitt daraus – und auch der ist meist verzerrt.
Und genau darum geht es im ersten Schritt, wenn Du besser mit Menschen umgehen willst, die eine andere Haltung haben als Du:
Im NLP gibt es einen Grundsatz der lautet: „Die Landkarte ist nicht das Gebiet“
Was das bedeutet ist, dass wir alle im Kopf und in unserem Erleben eine Landkarte von „der Welt“ haben, wie sie für uns ist. Das sprichwörtliche „Weltbild“, das für jeden anders ist, entsprechend dem, wie und wo man aufgewachsen ist, wo man lebt, was die eigenen Interessen und Werte sind und so weiter und so fort…
Aber diese Karte ist nie korrekt:
Sie ist nur die „Sicht auf die Welt“ – sie ist unser Ausschnitt der Welt – jedes einzelnen Individuums: Sie ist das, was wir wahrnehmen. Sie ist bei niemandem auch nur ansatzweise vollständig und sie ist außerdem bei jedem von uns verzerrt durch unsere Wahrnehmungsfilter.
Was das für uns aktuell bedeutet:
Wir scheinen uns aktuell darum zu streiten, wessen „Welt“ die „richtige Welt“ ist und dabei vergessen wir häufig, dass keiner von uns Recht haben kann. Kein Mensch auf der Welt hat eine „Landkarte“, die der tatsächlichen Landschaft entspricht. Somit hat jeder immer vielleicht ein bisschen Recht und jeder hat aber auch genau so Unrecht.
Es gibt nicht „die Wahrheit“ oder „die Realität“, über die gerade so viel gestritten wird.
Es gibt nur „meine Welt“ und „deine Welt“.
Und keine davon ist die „richtige“ oder gar „die Wahrheit“.
Meistens finden sich Menschen (als Paar und auch als Freunde), deren Landkarten – sprich deren „Weltbild“ – in vielen Punkten ähnlich ist.
Das ist ja z.B. auch das Erfolgsmodell von Facebook: Facebook ist wie ein guter Kumpel, der sich merkt, was Du magst und wie Du die Welt siehst und Dir mehr davon zeigt. Eigentlich eine gute Idee – bis zu dem Moment, wo Du nicht mehr realisierst, dass es da draußen noch viele andere Welten gibt – und Menschen, die das ganz anders sehen als Du. Du siehst das nur eben nie, weil es Dir nicht mehr angezeigt wird… weil Du halt offenbar nicht drauf stehst…
„Meine Freunde werden komisch“
Was aber, wenn jemand, der vorher eine Weltsicht hatte, die gut zu Deiner passte, plötzlich ganz anders drauf ist?
Wie kommt das?
Wie kommt es, dass jemand plötzlich auf die Verschwörungstheorien abfährt oder panisch wird, weil er sich eingesperrt und bevormundet fühlt? Oder sonst immer kritisch ist und alles hinterfragt und jetzt plötzlich einfach zu machen scheint, was ihm gesagt wird, ohne das je infrage zu stellen?
Auch das kann man ganz gut erklären – und dann vielleicht mehr Verständnis haben:
Vielleicht kennst Du diesen Grundsatz: Wenn Dich etwas besonders verletzt oder sehr stark triggert, dann meist nur deshalb, weil Du als Kind auf eine ähnliche Art schon mal sehr verletzt worden bist oder bedroht warst?
Das funktioniert ungefähr so:
Wir alle haben als Kinder irgendwann überfordernde Situationen erlebt. Entweder im Elternhaus oder auch in der Schule oder in unserer „Peer-Group“ – Freunde, Mitschüler, ältere Kinder aus unserem Umfeld.
Wenn wir als Kind überfordernde und damit traumatische Erlebnisse hatten, dann prägt uns das und wir haben in diesem Zusammenhang so eine Art „seelische Wunde“ – einen im wahrsten Sinne des Wortes „wunden Punkt“.
Kommt jetzt jemand zu uns und triggert uns an diesem „wunden Punkt“, dann tut das weh – und wir fühlen uns verletzt.
Lies dazu auch den Artikel „Seelische Verletzungen heilen“ >>>
Wie wir dann reagieren, ist abhängig von unserer Persönlichkeit und unserem Temperament: Rückzug und vielleicht beleidigt sein, sich ungeliebt fühlen und hoffnungslos werden, panisch werden oder aber auch zum „Gegenschlag“ ausholen und sehr aggressiv werden… die Bandbreite ist groß und Du wirst sicher wissen, wie Du in so einem Fall reagierst.
In einer Partnerschaft kennt das sicher jeder:
Der eine tut etwas (oder eben gerade nicht) und der andere fühlt sich ungeliebt, missachtet oder abgewertet… Dabei war das, was passiert ist, eigentlich eine Lappalie… nicht aber für den, der sich schlecht fühlt: Er hat an dieser Stelle seinen wunden Punkt.
- Vielleicht geht es darum, dass der andere ihm nicht zugehört hat – und genau das hat er als Kind schon zig mal erlebt: Dass er in seiner Familie nicht gehört wurde.
- Oder der Partner trifft eine Entscheidung ohne Rücksprache – und obwohl die Entscheidung eigentlich gut ist, gibt es den größten Streit, weil der andere sich bevormundet fühlt und die Mutter ihn auch schon immer bevormundet hat.
Ich denke, Du kannst das nachvollziehen, oder?
Genau so etwas passiert nämlich jetzt gerade im Moment:
Je nachdem, in welcher Lebenssituation Du gerade bist und welche Einschränkungen und Konsequenzen der Corona Lockdown für Dich hat, stehst Du vor verschiedenen Herausforderungen:
Ich, die ich kaum Einschränkungen habe durch die Art wie ich arbeite und wo ich lebe, keine Kinder zu betreuen habe, Online-Kurse und genug Reserven habe, kann ziemlich entspannt sein: Ich bin ein bisschen genervt, durch die Unsicherheit für meine Live-Seminare und ich würde gerne mal wieder essen gehen. Aber sonst ist es keine so große Sache für mich.
Was aber noch viel wichtiger ist: Ich bin auch nie besonders bevormundet oder eingeschränkt worden von meinen Eltern. Ich habe viele meiner Traumata aus der Kindheit betrachtet und verändert. Meine Prägung und meine Erziehung haben mich gelehrt, dass es immer einen Weg gibt und dass ich immer einfach aus allem das Beste machen soll.
Und so fühle ich mich aktuell weder bedroht, noch eingeengt.
Je nachdem, wie Du lebst – was Du also „erlebst“ und womit das bei Dir in Resonanz geht, wirst Du Dich vielleicht ganz anders fühlen als ich.
Wie wir uns fühlen ist quasi eine Mischung aus:
- Was erleben wir?
- Was ist um uns herum und was davon beachten wir?
- Welche Konsequenzen hat das für uns?
- Welche Traumata und wunden Punkte haben wir, die jetzt getriggert werden – oder eben nicht?
- Wie glauben wir auf diese Trigger reagieren zu müssen?
Und so wirkt sich das unterschiedlich aus auf jeden!
- Jemand, der aktuell zum Beispiel finanziell sehr stark getroffen ist, bei dem wird jetzt seine Angst vor Armut, vor Verlust des Lebensstandard und vielen anderen Dingen getriggert.
- Jemand, der extrovertiert ist und seine Beziehungen nicht auf die gewohnte Weise pflegen kann, wird sich in seinen vier Wänden fühlen der sprichwörtliche Tiger im Käfig
- Jemand, der wenig Beziehungen hat und seine Kontakte immer nur in Verbindung mit Tätigkeiten wie Sport oder Verein hat, wird sich vielleicht aktuell sehr einsam fühlen.
Mit anderen Worten: Der Lockdown ist eine Situation, die für die meisten Menschen nicht schön ist. Doch sie ist für jeden unterschiedlich „bedrohlich“ aufgrund dessen, was er für sich an Konsequenzen daraus ableitest und wie die aktuelle Situation von seiner „Normalität“ abweicht.
Unser Wunsch nach Normalität und Sicherheit
Je mehr die Situation abweicht von dem, was sich für uns „normal“ und „sicher“ anfühlt, desto mehr suchen wir nach Möglichkeiten, wieder zu unserer uns vertrauten Welt zurück zu kehren.
Und je nachdem, welche Traumata Du erlebt hast, wird Dich das unterschiedlich stark triggern:
Wer als Kind z.B. von den Eltern stark bevormundet und eingeengt wurde, wird sich auch jetzt von den Sicherheitsmaßnahmen maximal bevormundet fühlen. Und das ist natürlich dann – nachvollziehbar – ganz schön heftig! Ein unsichtbarer „Feind“, der dafür sorgt, dass ich bevormundet und eingeengt werde! Und dann sucht man sich „sichtbare Feinde“. Das sind dann die Menschen, die Bevormundung und Einengung verkünden und rechtfertigen.
Und so, wie in der Partnerschaft der Partner im Moment einer emotionalen Verletzung ein Missetäter und ein Scheusal ist, ist in diesem Fall dann die Regierung oder das RKI oder auch ein Dr. Drosten der Missetäter, der für die Einengung und Bevormundung verantwortlich ist. Sie sind die Täter – aber in Wahrheit sind sie nur die „Boten“, die eine Realität verkünden, die Dich negativ beeinflusst.
Und so sind wir dann auch bereit, alle unsere Ängste unsere Wut und unsere Enttäuschung auf Menschen zu projizieren, die wir gar nicht wirklich kennen und deren Motive uns zwar nicht bekannt sind – aber wir sind bereit, ihnen Schlechtes zu unterstellen – einfach schon deshalb, weil sie uns weh tun mit dem, was sie von uns wollen.
Wenn jemand Angst um seine berufliche Existenz hast und dazu noch Knappheit in seinem Lebensumfeld erlebt, dann wird daraus ganz schnell Angst um die gesamte Existenz. Und das ist eine unserer schlimmsten Ängste! Und so wird er das Ganze als lebensbedrohliche Katastrophe erleben. Deshalb suchen Menschen, die sich so fühlen, nach anderen Meinungen, die ihnen Hoffnung machen. Zum Beispiel nach Experten die sagen, dass die Maßnahmen übertrieben sind. Das ist ganz normal.
All das sind Wege, mit denen unser Unterbewusstsein versucht, uns aus einer für uns bedrohlichen Lage heraus zu helfen.
Deshalb sind wir gerade so besonders anfällig für „alternative Fakten“:
Sie versprechen uns eine schnelle Lösung unseres inneren Konflikts und eine Heilung für den Schmerz, den wir empfinden, weil die Situation unsere wunden Punkte so heftig triggert.
Der Nachteil daran ist, dass wir in so einem Moment sehr bereit sind, alternative Ideen zu glauben, auch wenn sie auf ebenso wenig Erfahrung mit der Situation beruhen, wie die schmerzhafteren Nachrichten, die uns einschränken. Wir wollen lieber das glauben, was uns mehr Freiheit und Rückkehr zum Wohlgefühl der Normalität verspricht.
Und so werden wir leider auch blind für den Vergleich, die Vernunft und für die Erkenntnis dass keiner jemals wirklich das Recht auf die „Wahrheit“ hat.
Die Phasen der Veränderung
In der Psychologie kennen wir einen „typischen Ablauf“, wenn Menschen ungewollt mit Veränderung konfrontiert werden.
Die erste Phase dieses Ablaufs ist der Schock – Sprachlosigkeit, Desorientierung… direkt danach kommt die Leugnung: Es passiert etwas und die erste Reaktion ist: „Das darf doch nicht wahr sein!“ oder auch „Das ist doch alles Fake!?!“
Tatsächlich habe ich im März ganz genau so reagiert – ich fand die Maßnahmen albern und übertrieben… das hielt ungefähr so lange an, bis meine Cousin und seine Kinder ein paar Tage nach dem Ski-Urlaub in Ischgl sehr krank und mit Covid19 diagnostiziert wurden… und ich mich gefragt habe, ob sie in der Zeit dazwischen meine Eltern (Risikogruppe) besucht haben könnten…
Wie lange wir in diesen Phasen stecken, ist tatsächlich von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Und gerade, wenn wir alle in einer Situation sind, von der wir glauben, wir alle seien in derselben Situation, dann wird es noch schwieriger zu verstehen, wenn jemand gerade offenbar nicht dasselbe erlebt, wir man selbst.
Doch wir sind eben nicht alle in derselben Situation… und wir sind nicht alle in derselben Phase.
„Was mach ich jetzt mit meinen Freunden und Bekannten?“
Wenn Du Freunde hast, die aus Deiner Sicht aktuell „am Rad drehen“, dann bring vielleicht Verständnis dafür auf, dass sie einfach Angst haben und sich bedroht fühlen. Versteh, dass sie überfordert sind und dass die Situation ihre tiefsten und wahrscheinlich lange verdrängten Traumata triggert und sie einfach einen Ausweg suchen.
Bevor Du versuchst, jemanden mit Deinen Fakten von Deiner Welt zu überzeugen, frag doch einfach erst mal, wie derjenige sich gerade fühlt und ob es etwas gibt, was Du jetzt gerade für sie/ihn tun kannst… Nicht für die Welt, nicht gegen irgendein Virus oder irgendeine Nachricht – sondern ganz konkret für diese Person: „Was würde Dir jetzt gut tun, was ich für Dich tun könnte?“
Menschen reagieren nicht rational, wenn sie Angst haben oder sich bedroht fühlen. Sie reagieren entsprechend ihrem Naturell: Abwehrend, aggressiv, panisch, besserwisserisch, missionierend, beleidigt, zurückhaltend… und jemanden zu beschimpfen, weil er Angst hat – das hat noch nie geholfen.
Genau so wenig wie jemandem „seine Wahrheit“ verkünden zu wollen, wenn sie nicht von einem Ort des Friedens und der Liebe kommt.
Peace!
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